Home » Neuromuskuläre Erkrankungen » Gentherapie für Kinder mit Spinaler Muskelatrophie
Sponsored

Priv.-Doz. Dr. Matthias Baumann

Leitender Oberarzt Neuropädiatrie Department für Kinder- und Jugendheilkunde, Tirol Kliniken

Im Interview berichtet der Neuropädiater Priv.-Doz. Dr. Matthias Baumann über erste Erfahrungen mit einer neuen Gentherapie bei SMA-Patient(inn)en.

Im Mai 2020 wurde in Europa eine innovative Genersatztherapie für die seltene Muskelerkrankung Spinale Muskelatrophie, kurz SMA, zugelassen. Über welche Erfahrungen können Sie berichten?

Wir haben hier in Innsbruck an der Universitätsklinik für Pädiatrie bislang zwei Patient(inn)en mit der neuen Gentherapie behandelt. Da diese erst in den letzten Wochen beziehungsweise Monaten verabreicht wurde, ist es noch relativ früh, über Behandlungsergebnisse zu sprechen. Unsere erstbehandelte Patientin erhielt die Therapie im Alter von vier Monaten, hier sehen wir bereits erste motorische Fort-schritte und eine kräftigere Stimme. Unser zweiter Patient war bei Verabreichung vor einigen Wochen knapp zwei Jahre alt. Hier ist es noch zu früh, über Ergebnisse zu sprechen.

Wie funktioniert diese Genersatztherapie? 

Eine künstlich hergestellte Kopie des defekten Gens wird über einen Vektor in den Zellkern ein-geschleust und beginnt dort, das fehlende Protein zu bilden. Das Fortschreiten der Erkrankung wird damit gestoppt.

Warum ist die Genersatztherapie für eine Erkrankung wie SMA anwendbar?

SMA ist eine monogene Erkrankung, daher, die Krankheit wird durch einen vererbten Defekt in einem einzigen Gen verursacht. Das eine ist, dass die DNA im zentralen Nervensystem ankommen muss – das funktioniert über den Vektor. Das andere ist, dass sich diese Zellen des zentralen Nervensystems nicht mehr teilen. Daher bleibt die Gentherapie in der Zielzelle stabil liegen und verdünnt sich nicht wie in anderen Körperzellen. Das ist ein entscheidender Baustein, damit diese einmalige Gentherapie überhaupt funktioniert.

Wann wird die Therapie verabreicht?

Idealerweise wird möglichst früh verabreicht, das heißt im Falle einer Diagnose im Neugeborenenalter. Denn bereits verloren gegangene motorische Nervenzellen können durch keine Therapie wiederhergestellt werden. Daher ist ein möglichst früher Behandlungs-beginn entscheidend.

Für wie viele Kinder kommt die neue Genersatztherapie in Österreich infrage?

Wir gehen davon aus, dass in Österreich etwa zehn Kinder pro Jahr mit SMA geboren werden. Davon kommen bis zu acht Kinder für die Therapie infrage, da sie an SMA Typ 1 oder SMA Typ 2 leiden. Natürlich kommen nun durch die Zulassung auch Kinder infrage, die in den letzten ein bis drei Jahren in Österreich geboren wurden, bereits mit einer anderen Therapie behandelt wurden und bei denen daher nun über eine Therapie-umstellung nachgedacht werden kann. Hierbei muss abgewogen werden, dass es bei älteren, etwas schwereren Kindern häufiger zu einer vorübergehenden Erhöhung der Leberwerte kommen kann. 

Welche Rückmeldungen haben Sie bislang von den Eltern der behandelten Kinder erhalten? 

Ich habe bislang positive Rückmeldungen erhalten. Die Eltern sehen die Verfügbarkeit der Therapie, die nur einmal gegeben werden muss, als eine Riesenchance. Sie sind sehr glücklich, und auch ich bin froh, dass alles gut gelaufen ist. Wir sehen bereits erste kleine Fortschritte. Die nächsten Monate werden sicherlich mehr zeigen.

Erhalten die behandelten Kinder nebenher noch zusätzliche Unterstützungsangebote?

Der zweite Patient hatte bereits logo- sowie physiotherapeutische und orthopädische Betreuung erhalten. Dies und die Versorgung mit weiteren Hilfsmitteln ist ganz grundsätzlich als wichtiger Baustein zu sehen. Denn das ist für alle Kinder mit SMA von Bedeutung, damit sie eine gute Lebensqualität erhalten. Ich denke, das wird auch mit diesen neuen Therapien nach wie vor wichtig bleiben.

Next article