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Neuromuskuläre Erkrankungen

Wegfindung für lebenswichtige Therapie

Close up of unrecognizable doctor checking the medical chart of his patient on wheelchair and mom standing behind her son
Close up of unrecognizable doctor checking the medical chart of his patient on wheelchair and mom standing behind her son
iStock/Hispanolistic

Es kann eine Entscheidung über Leben und Tod sein. Prim. Dr. Rudolf Schwarz spricht im Interview über die Herausforderungen im Zuge der Therapie von Spinaler Muskelatrophie.

Dr. Rudolf Schwarz

Primar der Abteilung Kinder- und Jugendheilkunde Landesklinikum Amstetten © Foto: LK Amstetten

Wie ist die aktuelle Behandlungssituation von Spinaler Muskelatrophie in Österreich?

In Österreich ist derzeit ein einziges Medikament zugelassen, welches die erste zugelassene, krankheitsmodifizierende Therapie bei Spinaler Muskelatrophie ist.Der Wirkstoff zielt darauf ab, den genetischen Defekt, der der Spinalen Muskelatrophie zugrunde liegt, zu klären. Vor der Zulassung des Produktes im Juni 2017 gab es in Österreich nur eine symptomatische Behandlung der Komplikationen. Denn die Spinale Muskelatrophie ist eine Erkrankung, bei der Muskeln keine ausreichenden Impulse des Nervensystems erhalten, weil die Übertragung im Rückenmark durch eine Erkrankung der zuständigen Nervenzellen nicht mehr richtig funktioniert. Wenn Muskeln diese Impulse nicht erhalten, bilden sie sich langsam zurück – und zwar alle Muskeln bis auf die Herzmuskulatur.

Das heißt, dass eine frühzeitige Diagnose wichtig ist?

Eine frühe Diagnose ist essenziell. Denn es hat sich gezeigt: Je früher mit der Therapie begonnen wird, desto besser sind die Behandlungsergebnisse und die Chancen für die Kinder. Wenn man die Therapie noch vor dem Auftreten erster Symptome beginnt, kann vielleicht sogar der Ausbruch der Erkrankung und der Symptome verhindert werden. Das gelingt dann, wenn es beispielsweise eine familiäre Vorgeschichte gibt. In Zukunft kann sich dazu vielleicht auch ein Neugeborenen-Screening durchsetzen.

Obwohl die Therapie für alle Altersklassen zugelassen ist, wird sie derzeit nicht für alle Altersgruppen eingesetzt. Warum?

Dazu muss man verstehen, wie solche Zulassungsstudien funktionieren. Man schließt dazu die schwersten Fälle ein, um natürlich so früh wie möglich zu einer Entscheidung zu gelangen. Das heißt, leichte Fälle wurden in diese Studie nicht eingeschlossen, weil man viel längere Beobachtungszeiträume bräuchte und dazu würde heute keine Ethikkommission zustimmen. Nun liegen in der Zwischenzeit auch Daten für leichtere Verläufe vor und dennoch kommt es immer wieder zu schwierigen Situationen mit den Kostenträgern. Auch in Europa hat sich mittlerweile das Wissen durchgesetzt, dass auch die später beginnenden, leichteren Verlaufsformen von dieser Therapie profitieren.

Nun haben wir in Österreich neun Bundesländer und verschiedene Verwaltungsebenen. Ergeben sich aufgrund der unterschiedlichen Regelungen Herausforderungen?

Für uns als Behandler, aber auch für die Eltern ist das immer ein Thema. Das Problem ist, dass wir keine Vereinheitlichung haben und dem Wissen der Experten nicht entsprechend Raum gegeben wird. Man vergisst leider darauf, sich vor Entscheidungen mit den FachexpertInnen zusammenzusetzen und sich objektiv eine Meinung zu bilden. Natürlich sind die hohen Kosten ein Thema, aber wir entscheiden hier nicht zwischen einer kostengünstigeren und einer teureren Option, sondern zwischen Therapie oder Nicht-Therapie.

Und das bedeutet eine Entscheidung zwischen Leben oder Tod?

Bei ganz schweren Formen ist es eine sehr rasche Entscheidung über Leben und Tod. Denn 80 Prozent der PatientInnen mit Spinaler Muskelatrophie Typ 1 versterben innerhalb der ersten 12 bis 20 Monate. Bei leichteren Formen ist es eine Frage der Überlebensdauer. Und bei ganz leichten Formen wird es vielleicht einmal eine Frage nach einem weitgehend normalen Leben sein. Wir dürfen nicht an unserem Solidaritätsprinzip rütteln, nur weil es um eine recht kleine Patientengruppe geht.

Was muss sich in Zukunft ändern, um optimale Entscheidungsprozesse zu schaffen?

Aus unserer Sicht sollte sich ein medizinisches Expertengremium regelmäßig mit einem Expertengremium des Hauptverbandes und der Krankenhausträger treffen und dabei in eine ergebnisoffene, faire und auf wissenschaftlicher Basis fundierte Diskussion treten. Man muss einfach einen Weg finden, eine Therapie, deren Wirkung wissenschaftlich klar belegbar ist, zu bewilligen – auch wenn sie Geld kostet. Es geht um eine kleine Patientengruppe, die aber in Summe nicht aus den Kosten für häufigere Erkrankungen herausragt.

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