Die eigenen Kinder in die Obhut von Betreuungspersonal und Lehrkräften zu geben, ist für Eltern immer ein besonderer Schritt. Leiden die Kinder an Hämophilie, stellen sich zudem viele medizinische und organisatorische Fragen. Im Interview sprechen Dr.in Katharina E. Thom und Eva Wissmann über die richtige Vorbereitung für Kindergarten und Schule und erklären, wie Freizeit- und Schulsport sicher gestaltet werden können.

Priv.-Doz.in Dr.in univ. med. Katharina E. Thom
© ZVG
Oberärztin Abteilung für Pädiatrische Kardiologie/Kinderherzzentrum Wien und Gerinnungsambulanz für Kinder und Jugendliche,
Spezialistin für Pädiatrische Kardiologie und Gerinnungsstörungen,
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde,
Medizinische Universität Wien

DGKP Eva Wissmann
© ZVG
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde,
Medizinische Universität Wien
Kleinkindalter und Kindergarten
Wenn ein Kind mit Hämophilie in eine Krabbelstube oder einen Kindergarten kommt – welche Vorkehrungen sollten Eltern treffen, um eine sichere Betreuung zu gewährleisten?
K. Thom: Die Blutungsneigung ist abhängig vom Schweregrad der Hämophilie. Für die Prävention von Blutungen werden die Kinder mit einer schweren Hämophilie heutzutage bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter auf eine regelmäßige Behandlung (Faktor- oder Non-Faktor-Therapie) eingestellt. In der Ambulanz wird die Effektivität der Therapie überprüft und die Eltern können Fragen zum Start in den Kindergarten besprechen. Zusätzlich gibt es in einem Ambulanzbrief eine Extrainformation für das Betreuungspersonal. Kinder mit einer Hämophilie können regulär in den Kindergarten starten und benötigen keinen gesonderten Integrationsplatz.
Wie können Eltern das Personal in der Kinderbetreuung am besten über die Hämophilie informieren, und was sind die wichtigsten Punkte, die das Betreuungsteam wissen sollte?
K. Thom: Das betreuende Personal wird von den Eltern über die Erkrankung informiert. Zusätzlich sollte eine Kopie des „Bluterpasses“ mit Informationen zur Erkrankung und Therapie im Kindergarten vorliegen. Kinder mit einer schweren Hämophilie erhalten ihre regelmäßige Therapie durch die Eltern. Alle Kinder mit Hämophilie können normal am Kindergartenalltag teilnehmen. Kleine Verletzungen oder Schürfwunden sind unkompliziert und können wie üblich versorgt werden. Bei Stößen an den Kopf, Schwellung eines Gelenkes oder neuen Schonhaltungen ist oft eine zusätzliche Faktorgabe nötig. Dann sollten zunächst die Eltern informiert werden, die sich sehr gut mit der Behandlung und Einschätzung der Verletzung auskennen. Bei Rückfragen steht das Gerinnungsteam an der Kinderklinik/AKH Wien zur Verfügung.
Vorschule und Schule
Welche Rolle spielt die Schule bei der Betreuung eines Kindes mit Hämophilie, und welche Maßnahmen sollten Eltern und Schule gemeinsam ergreifen?
E. Wissmann: Kinder mit Hämophilie benötigen den Schulbesuch wie andere auch. Die Lehrkräfte sind oft verunsichert durch die Diagnose „Bluterkrankheit“. Hier sind Erläuterungen durch die Eltern und Informationen aus der Gerinnungsambulanz hilfreich. Die Kinder können normal am Sport und an Ausflügen teilnehmen. Schulen erhalten erforderliche Bestätigungen, lagern oft Präparate für Notfälle und hinterlegen zusätzlich die Nummer des behandelnden Zentrums. Impfungen sollen nur subkutan erfolgen, Informationen gehen auf Wunsch an die Schulärztin oder den Schularzt.
Was sind die wichtigsten Empfehlungen für Eltern, um den Schulalltag ihres Kindes – inklusive Sportunterricht und Pausen – sicher zu gestalten?
E. Wissmann: Eine gute Information und Akzeptanz der Erkrankung vonseiten der Lehrkräfte wie auch der Mitschüler:innen ist wünschenswert und hilfreich. Durch ein Referat kann Information vermittelt und Interesse geweckt werden (etwa auch für eine VWA). Verletzungen und Rangeleien im Schulalltag können vorkommen. Kinder mit schwerer Hämophilie haben bei regelmäßiger Prophylaxe einen guten Schutz und erkennen meist selbst, ob eine zusätzliche Faktorverabreichung nötig ist.
Sport und Bewegung
Welche sportlichen Aktivitäten eignen sich besonders gut für Kinder mit Hämophilie, und welche sollten vermieden werden, um das Verletzungsrisiko zu minimieren?
K. Thom: Kinder mit einer schweren Hämophilie haben unter einer konsequenten, regelmäßigen Prophylaxe ein deutlich vermindertes Blutungsrisiko. Sportliche Aktivitäten sind wichtig für Körperbewusstsein, Muskelaufbau, Gelenksstabilität und zur Vermeidung von Verletzungen. Ideale Aktivitäten sind zum Beispiel Schwimmen, Laufen, Radeln, Krafttraining, Tischtennis. Sportarten mit einem hohen Verletzungs- und Blutungsrisiko sind Kontakt- und Ballsportarten. Andere häufige Aktivitäten wie Freizeitfußball, Skifahren oder Tennis haben unter regelmäßiger Prophylaxe ein mäßiges Blutungsrisiko. Bei Verletzungen muss eine zeitnahe Begutachtung und Therapie erfolgen. Eine gute Aufklärung und Besprechung der Aktivitäten ist wichtig, wofür auch das Gerinnungsteam zur Verfügung steht.
Welche Ratschläge können Sie Eltern geben, die unsicher sind, ob ihr Kind an bestimmten sportlichen Aktivitäten teilnehmen soll?
E. Wissmann: Die Kinder sind durch ihre Prophylaxe gut geschützt und können regulär am Schulsport teilnehmen. Zumeist beurteilen die Eltern, welche Sportart für ihr Kind geeignet ist. Von riskanten Aktivitäten, wie Boxen, wird abgeraten. Eine zusätzliche Prophylaxe kann vor intensiven Einheiten geplant werden.
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