Mag. Elisabeth Weigand, MBA
Geschäftsführerin ProRare Österreich
Wie erleben es die betroffenen Kinder und Familien
In Österreich leben rund 400.000 Menschen mit einer seltenen Erkrankung, rund 50% davon sind Kinder und Jugendliche. Wer von ihnen im Zusammenhang mit dem Coronavirus zur Risikogruppe zählt, ist pauschal nicht zu sagen. Im Wesentlichen hängt dies von der Art ihrer Grunderkrankung ab – und immerhin unterscheidet man zwischen 6.000 und 8.000 seltene Erkrankungen. Die Situation von betroffenen Kindern und deren Familien soll hier anhand eines konkreten Beispiels geschildert werden, trifft diese oder eine ähnliche Bedrohungslage doch auch auf viele andere seltenen Erkrankungen zu.
MukoPolySaccharidosen (kurz MPS) sind angeborene, langsam fortschreitende und tödlich verlaufende Stoffwechselkrankheiten. Durch einen Enzymdefekt werden bestimmte Stoffwechselprodukte, die Mukopolysaccharide, nicht abgebaut, sondern in Körperzellen gespeichert. Dieser „Stoffwechselmüll“ sammelt sich an und zerstört die betroffenen Zellen. MPS umfasst sehr unterschiedliche Krankheitsbilder mit einer Vielzahl von Symptomen und führt zu schweren körperlichen und/oder geistigen Behinderungen.
Was bedeutet die Corona-Situation für Kinder und Jugendliche, die mit MPS leben und ihre Angehörigen? „Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus führen neben unspezifischen Allgemeinsymptomen insbesondere zu einer Beteiligung der Lunge. Daher ist davon auszugehen, dass Patienten mit Mukopolysaccharidose und ähnlichen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe im Rahmen einer COVID-19-Infektion aufweisen. Diese Information löste bei unseren MPS-Familien viel Unsicherheit und auch Angst aus. Viele waren bereits vor dem ersten Lockdown sehr vorsichtig, haben das Haus nur noch verlassen, wenn es wirklich nötig war, um ihre Kinder zu schützen.“ berichtetAnna Prähofer, MPS Austria.
Etliche MPS-Patienten erhalten eine Enzymersatztherapie, die einmal wöchentlich intravenös verabreicht wird – die meisten davon leider nicht in Heimtherapie, sondern im Krankenhaus. In einer Zeit wie dieser ist das mit mehr Aufwand, Risiko sowie Sorgen und Ängsten verbunden, vor allem dann, wenn öffentliche Verkehrsmittel benutzt werden müssen. Für die Angehörigen war es wichtig zu wissen, ob sie ihrer Arbeit nachgehen können, ohne ihre Kinder dadurch zu gefährden. Einige wurden von ihrem Arbeitgeber freigestellt. Obwohl die Betroffenen sehr vorsichtig sind und sich streng an die Maßnahmen halten, kam es leider schon im Frühling zum schmerzlichen Todesfall eines sechsjährigen Mädchens.
Was ist wichtig für betroffene Kinder und Familien?
Möglichst sachliche und klare Information sind zentral für sie, um das Risiko richtig einschätzen zu können und nicht womöglich aus Verunsicherung und Angst auf mögliche medizinische Versorgung oder Teilnahme am Unterricht zu verzichten. Selbsthilfegruppen übernehmen hier eine wichtige Rolle. So hat MPS Austria schnell reagiert und einen Austausch betroffener Familien mit Priv.-Doz. Dr. Florian Lagler (Paracelsus Med. Privatuniversität Salzburg) über Zoom-Meeting organisiert, der Antworten auf brennende Fragen gab. Auch Heiminfusions-Nurses sind wichtige Ansprechpersonen und Bindegliede zwischen Patienten und delegierendem Arzt.
Pro Rare Austria hat bereits Ende April gemeinsam mit Lobby 4Kids und unterstützt von zahlreichen Experten, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen, ein Statement mit klaren Forderungen an die Gesundheitspolitik formuliert, um die Versorgung und Betreuung für Betroffene seltener Erkrankungen sicherzustellen.
Großes Engagement, weit über die reine Pflichterfüllung hinaus, zeigten die Behandlungsteams der auf seltene Erkrankungen spezialisierten Zentren durch Informationsoffensiven – Aufrüstung von Klinikwebsites, Abbildung der Verfügbarkeiten spezialisierter Teams, Bereitstellung laufend aktualisierter Informationen und Notfall-Merkblätter. Viele medizinische Einrichtungen informierten ihre Patienten zu Hause über erforderliche dringliche Maßnahmen bei ihrer speziellen seltenen Erkrankung. Vielerorts wurden Patienten von Terminambulanzen persönlich kontaktiert. Patienten wurden ermuntert, bei Unsicherheiten Telemedizin in Anspruch zu nehmen und so Kontakt zu ihrem Behandlungsteam zu halten. Bei stationären Aufnahmen ging man mit geeigneten Maßnahmen auf die besonderen Bedürfnisse der jeweiligen seltenen Erkrankung ein.
Natürlich hat COVID-19 Menschen mit seltenen Erkrankungen zusätzliche Probleme gebracht, z.B. durch die Unterbrechung der gewohnten Versorgungsroutine oder klinischer Studien. Dennoch bleibt Dankbarkeit für das großartige Engagement der Ärzte und des Pflegepersonals, die den Großteil der Betroffenen gut durch die Krise begleiten.
SAVE THE DATE
DER PRO RARE AUSTRIA TAG DER SELTENEN ERKRANKUNGEN 2021
Samstag, 27.02.2021 um 12:00 bis 16:00 Uhr
Pro Rare Austria
Unser nächster Tag der seltenen Erkrankungen 2021 wird am 27.02.2021 den Umständen entsprechend in ganz neuer Form virtuell stattfinden.
Dennoch werden wir mit allen Besucherinnen und Besuchern wie immer ein besonderes Zeichen unserer Gemeinschaft setzen.
Wir freuen uns jetzt schon auf Ihre zahlreiche Teilnahme.