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Hämophilie

Neue Therapiemöglichkeiten in der Hämophilie

iStock/Motortion

Für die auch „Bluterkrankheit“ genannte Erkrankung sind in jüngerer Vergangenheit vielversprechende neue Therapien entwickelt worden, erläutert Hämophilie-Experte Prof. Dr. Cihan Ay.

Prof. Dr. Cihan Ay

Facharzt für Innere Medizin, Medizinische Universität Wien

Hämophilie – was ist das eigentlich genau?

Die Hämophilie ist eine seltene, angeborene Blutgerinnungsstörung, die X-chromosomal rezessiv vererbt wird. Das bedeutet die genetische Information für die Erkrankung liegt auf dem X-Chromosom und sie betrifft fast ausschließlich Männer, wobei Frauen die Trägerinnen für genetische Informationen sind. Rund ein Drittel der Fälle tritt allerdings ohne entsprechende familiäre Vorgeschichte auf, wo die Mutation, die für die Blutgerinnungsstörung verantwortlich ist, spontan entsteht.

Tritt die Erkrankung bei allen Betroffenen gleich stark auf?

Nein. Es gibt eine schwere Form der Hämophilie, wo die sogenannte Restaktivität der Gerinnungsfaktoren im Blut unter 1% liegt, also nicht messbar ist. Bei dieser Form ist die Gefahr spontaner Blutungen besonders hoch, insbesondere in den Gelenken. Wiederholte Gelenksblutungen führen mit der Zeit zu bleibenden Schäden. Das heißt, es ist sehr wichtig, diese Blutungen zu verhindern. Das geschieht mithilfe einer Prophylaxe. Zudem unterscheiden wir eine Hämophilie A, bei der Blutgerinnungsfaktor VIII, und eine Hämophilie B, bei der Faktor IX fehlt oder vermindert ist.

Bevor wir auf diese Prophylaxe eingehen: Wie sehen andere Formen der „Bluterkrankheit“, wie man sie früher nannte, aus?

Bei der nicht schweren Hämophilie ist die Faktoraktivität über 1%. Hier treten spontane Blutung wesentlich weniger häufig auf, wir sprechen von moderater Hämophilie. Bei der sogenannten leichten Hämophilie sind sie überhaupt sehr selten, der Restfaktor liegt bei über 5%, Blutungen sind sehr selten oder treten bei Verletzungen oder bei einer OP auf.

Nun zur Prophylaxe: Wie wird Betroffenen geholfen?

Ein Standard der Prophylaxe war bis vor kurzem ausschließlich die Substitution, also das regelmäßige Zuführen des fehlenden Faktors im Blut. Diese Faktoren werden entweder gentechnisch hergestellt oder aus Plasma gewonnen. Die Zufuhr erfolgt intravenös, zwei bis dreimal wöchentlich, weil die Faktoren im Blut eine recht kurze Halbwertszeit haben. Das wird in der Regel als Heimtherapie durchgeführt, Betroffene lernen es schon als Kinder: Man punktiert die Vene und verabreicht das Präparat.

Menschen mit Hämophilie leben heute nahezu so wie Sie und Ich.

Das klingt nach einer Therapie, die für Erkrankte belastend sein kann.

Durchaus, diese Selbst-Therapie ist für viele Betroffene nicht gerade angenehm. Man muss das Präparat mit dem Faktor auflösen, sich mit einer Nadel stechen und das Präparat applizieren. Außerdem bildet das Immunsystem gegen den „fremden“ Blutgerinnungsfaktor hin und wieder Antikörper, der die Therapie unwirksam macht. Mittlerweile wurden neuere Präparate entwickelt, die eine verlängerte Halbwertszeit haben. Bei der Hämophilie B gibt es eine Verbesserung, da wurde die Halbwertszeit bis zu verfünffacht, was für die Betroffenen natürlich eine wesentliche Erleichterung ihres Lebens darstellt.

Wie sieht der Alltag eines Hämophilie-Patienten aus?

Menschen mit einer Hämophilie leben so wie Sie und ich. Die Erkrankung fällt im Alltag nicht auf. Betroffene, die eine entsprechende Therapie erhalten, führen ein ganz normales Leben. Daher spreche ich nicht von Patienten, weil die Betroffenen keine Krankheitslast im klassischen Sinn haben. Es fehlt ein Blutgerinnungsfaktor, den man substituieren oder mittlerweile auch anders behandeln kann. Das ist gut ins Leben integrierbar.

Wo können sich Betroffene informieren?

Es gibt eine Selbsthilfeorganisation, die Österreichische Hämophilie Gesellschaft. Betroffene, die aktiv sein wollen, können viele Informationen finden und auch andere Betroffene unterstützen. In dieser Organisation wird wirklich exzellente Arbeit geleistet, auch in den Hämophiliezentren wie etwa an der MedUni Wien. Für Kinder gibt es auch eine eigene Gerinnungsambulanz an der Kinderklinik. Die Erkrankung hat ohne eine entsprechende Prophylaxe schwerwiegende Folgeschäden, aber die Möglichkeiten, Blutungen zu verhindern und die Unterstützung rund herum ist heute groß.

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