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Hämophilie

Hämophilie A – Was es bedeutet, Bluter zu sein

Photo: Kumer Oksana via shutterstock

Dr. med.univ. Siegfried Sormann

Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie

Der Hämatoonkologe und Internist Dr. Siegfried Sormann berichtet über Hämophilie A und erklärt, warum es für Betroffene so wichtig ist, eine zuverlässige, kompetente und vertrauensvolle Patient-Arzt-Beziehung in der Betreuung zu erhalten.

Herr Dr. Sormann, es geht um die Hämophilie A. Was darf ich mir darunter vorstellen?

Die Hämophilie A ist eine angeborene Erkrankung, von der primär das männliche Geschlecht betroffen ist. Als Folge einer Gen-mutation wird bei Betroffenen der wichtige Blutgerinnungsfaktor VIII in einer deutlich verminderten Menge produziert. Wir benötigen aber alle Gerinnungsfaktoren in ausreichender Aktivität, um eine optimale Blutgerinnung zu gewährleisten. Dieser Mangel an Gerinnungsfaktor VIII führt bei diesen Patienten je nach Schweregrad zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Blutungsneigung.

Wie wirkt sich diese Blutungsneigung aus?

Betroffene Patienten werden von Verletzungen oder Unfallfolgen unmittelbar bedroht, da schon leichte Traumata zu heftigen Blutungen führen können. Auch bei notwendigen Operationen stellt der Mangel oftmals eine organisatorische Herausforderung dar. Die schwere Hämophilie ist die stärkste Ausprägung der Erkrankung, bei der die Aktivität des Faktors VIII unter einem Prozent des Normalwertes liegt. In diesen Fällen treten Spontan-blutungen – das sind Blutungen ohne Verletzung des Körpers – in unterschiedlicher Häufigkeit auf. Sie betreffen besonders häufig die Gelenke.

Wie sieht der Alltag von Betroffenen aus?

Der Alltag solcher Patienten ist geprägt von der künstlichen Zufuhr des Gerinnungsfaktors VIII, früher ausschließlich intravenös. Das stellt besonders Eltern von betroffenen Kindern vor große Herausforderungen. Schließlich kann diese intravenöse Gabe schon bei Neugeborenen notwendig sein. Ich habe in meiner Lauf-bahn schon zahlreiche Patienten kennengelernt, die damit sehr souverän umgehen. Diese Disziplin und Genauigkeit in der Faktoranwendung führt zu einer ausreichend hohen Faktor-VIII-Grundmenge, mit der die Häufigkeit von Spontanblutungen und damit verbundene Schmerzen und Folgeschäden vermieden werden können. Betroffene haben auch den logistischen Aufwand, den Faktor VIII in ausreichender Menge zu Hause zu haben. Bei vielen älteren Patienten kommt noch hinzu, dass der Faktor VIII früher aus Plasmaspenden gewonnen wurde. Mit diesen Plasmaspenden wurden teilweise Infektionskrankheiten, wie Hepatitis B und C, über-tragen. Aufgrund dieser Probleme hatten die Patienten versucht, so wenig Faktor als möglich anzuwenden. Leider resultierte daraus eine erhöhte Blutungsfrequenz betreffend die Gelenke, mit fort-schreitender Gelenkszerstörung.

Gibt es da mittlerweile andere Therapiemöglichkeiten?

Erfreulicherweise ist die Gefahr von Infektionen durch Blutplasma nicht mehr vorhanden, weil es jetzt gentechnisch hergestellte Präparate gibt. Sprich, bei jungen Hämophiliepatienten, die nur noch mit den neuen Präparaten behandelt werden, ist diese Infektionsgefahr nicht mehr gegeben. Aber diese Gerinnungsfaktoren müssen intravenös in ausreichen-der Frequenz zugeführt werden. Die Forschung mündete in die Entwicklung neuartiger Therapien zur Halbwertszeitverlängerung mit Reduktion der notwendigen Häufigkeit und Vereinfachung, sich den Faktor zuzuführen.

Wie wirkt sich das aus?

Um die Auswirkung der Erb-erkrankung zu mindern, ist eine immense Disziplin beim Patienten notwendig. Er muss die Eigenschaften und die Wirkung seines Medikaments kennen, sich über die Blutungsgefahr durch körperliche Belastungen bei der Arbeit, bei Freizeit und Sport im Klaren sein und sich eine ausreichende Menge an Faktorpräparat organisieren. Das Ziel der Therapie ist die Senkung der Blutungshäufigkeit auf null, um insbesondere die Gelenke zu schützen. Denn jede Gelenksblutung ist ein Schritt zur chronischen Gelenksentzündung und zum Verlust der Gelenksfunktion.

Gibt es einen Aspekt betreffend Hämophilie A, der Ihnen besonders unter den Nägeln brennt?

Es wäre wichtig, dass Hämophile zumindest zwei Ärzte als Ansprechpartner hätten, an die sie sich wenden können, wenn außerhalb der halbjährlichen Routinekontrollen Probleme oder gar Verletzungen auftreten. Ein kontinuierlicher Vertrauensarzt kennt die speziellen Probleme des Patienten in der Vergangenheit und kann so gemeinsam mit ihm den richtigen Weg zu den jetzigen und kommenden medizinischen Innovationen finden. Auch wäre es gut, in der Betreuung und Behandlung von Hämophilen stärker auf einen interdisziplinären Ansatz und Teamarbeit mit Orthopäden und Chirurgen zu setzen.

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