Home » Neuromuskuläre Erkrankungen » SMA und Physiotherapie: Selbstständigkeit als Ziel
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Warum es wichtig ist, auch mit spinaler Muskelatrophie an seine individuelle körperliche Leistungsgrenze zu gehen, erklärt Physiotherapeutin Agnes Wilhelm im Interview.

Agnes Wilhelm

MSc freiberuflich tätige Physiotherapeutin in Wien und Lehrende an der IMC FH Krems, Koordinatorin des fachlichen Netzwerks Neurologie von Physio Austria

Welche Hilfestellungen und Unterstützungen können Sie Menschen mit spinaler Muskelatrophie, kurz SMA, für ihren Alltag anbieten?

Aufgrund der SMA wird die Muskulatur von Betroffenen immer schwächer. Das hat auch Einschränkungen im Alltag zur Folge. Als selbstständige Physiotherapeutin arbeite ich mit Menschen vor Ort in ihrem Zuhause. So kann ich Patientinnen und Patienten direkt im Alltag unterstützen. Wichtig dabei ist, dass man nicht nur die Betroffenen selbst mit einbindet, sondern auch Eltern oder Angehörige. Wir als Physiotherapeutinnen und -therapeuten können so miteinander und im Austausch individuelle Ziele vereinbaren, damit die Menschen selbstständiger werden. Schließlich ist die größtmögliche Selbstständigkeit für Patienten auch das Ziel der Physiotherapie.

Welche Unterschiede gibt es dabei zwischen jugendlichen und adulten Formen der SMA?

Jeder Mensch hat unterschiedliche Ziele und Vorstellungen. Werden bei jugendlichen Formen der SMA motorische Meilensteine vielleicht gar nicht erlernt, ist der Fokus bei adulten Formen ein ganz anderer. Die von dieser Form Betroffenen leben oft bereits zehn oder vielleicht 30 Jahre lang mit der Diagnose SMA, wissen mit ihrer Erkrankung gut umzugehen und haben oftmals schon Kompensationsstrategien entwickelt. Als Physiotherapeutin bespreche ich gemeinsam mit Patienten zum Beispiel, ob es noch effektivere Strategien gibt, welche Trainings wichtig sind und wo und ab wann es vielleicht sinnvoll ist, Hilfsmittel zu verwenden.

Wie kann es gelingen, nach der Diagnose wieder ein Stückchen Normalität im Alltag herzustellen?

Gerade betroffene Erwachsene leben häufig bereits einige Zeit mit Symptomen. Wenn dann endlich eine Diagnose gestellt wird, ist die Zeit der Ungewissheit vorbei und man kann lernen, mit der Erkrankung umzugehen. Im Rahmen der Physiotherapie ist es wesentlich, Aktivitäten zu finden, die Spaß machen und in den Alltag integriert werden können. Mit Kindern können viele Übungen spielerisch durchgeführt werden. Es gibt hier auch über Spielkonsolen wunderbare Möglichkeiten für verschiedene Bewegungsfunktionen. Außerdem ist es ganz wichtig, andere Menschen mit gleichen Erfahrungen zu finden und sich mit ihnen auszutauschen. Selbsthilfegruppen sind eine ganz tolle Sache!

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Welche Möglichkeiten gibt es für erwachsene Menschen mit SMA, wenn es darum geht, sie in ihrer Selbstständigkeit im Alltag zu unterstützen?

In Österreich gibt es die Möglichkeit einer persönlichen Assistenz. Das ist eine Unterstützung für den Arbeitsplatz, für Ausbildungen, aber auch für die Freizeit. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sind dabei Auftraggeber und bestimmen selbst, wo sie wie viel Unterstützung benötigen. So können Menschen beispielsweise länger im Berufsleben aktiv sein, auch wenn die körperlichen Einschränkungen zunehmen. Aus physiotherapeutischer Sicht ist es essenziell, dass man seine eigenen Grenzen kennenlernt. Einerseits sollten sich Menschen mit SMA zwar körperlich nicht überfordern, um erhöhte Ermüdungserscheinungen zu vermeiden. Andererseits ist es aber auch wichtig, an die eigene Leistungsgrenze zu gehen, um sich nicht zu unterfordern. Damit körperliche Funktionen und Aktivitäten möglichst lange erhalten bleiben, braucht es eine bestimmte Reizschwelle. Wenn man diese nicht erreicht, entsteht auch kein Trainingseffekt. Das, was gerade noch möglich ist, sollte man also auch tun – auch wenn das vielleicht gar nicht mehr so leicht ist.

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Biogen-76445 (Informationsstand Oktober 2020)

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