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Transition

„Transitionsprogramme sind professionell zu führende Leistungen“

Doctor consulting male patient, working on diagnostic examination on men's health disease or mental illness, while writing on prescription record information document in clinic or hospital office
Doctor consulting male patient, working on diagnostic examination on men's health disease or mental illness, while writing on prescription record information document in clinic or hospital office
iStock/Chinnapong

Erhart von Ammon ist 2. Vorsitzender der Gesellschaft für Transitionsmedizin und selbst Vater einer Tochter mit Cerebralparese. Seit 2017 ist er Geschäftsführer für den Verein „transition1525“ in der Schweiz.

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Erhart von Ammon

Vorsitzender der Gesellschaft für Transitionsmedizin und Vater einer Tochter mit Cerebralparese

Wieso ist Transition überhaupt ein Thema?

In der Behandlung von chronischen Krankheiten und Behinderungen wird für die Kinder alles proaktiv gemacht, um ihnen eine möglichst gute Entwicklung zu ermöglichen. Es findet auf allen Ebenen ein Enabling statt. In der Erwachsenenmedizin, die dann ab dem 18. Geburtstag zuständig ist, ist es schwieriger, sich zurechtzufinden – es hat andere Personen und Abläufe. Auch die Versicherer gehen davon aus, dass man ab der Volljährigkeit nur noch unterstützt wird, um «zu funktionieren» in Beruf und Leben. Es braucht während der Übergabe von den Kinder- und Jugendmedizinern zur Erwachsenenmedizin eine intensive Begleitung, um gut in der Erwachsenenwelt anzukommen.

Wann hatten Sie das erste Mal eine Berührung mit dem Thema Transition?

Sowohl im Bereich der Kinderkrebsforschung als auch durch die Cerebralparese und Mehrfachbehinderung meiner Tochter hatte ich mit solchen Übergängen und Herausforderungen zu tun. Trotz bestehender Beratungsinstitutionen steht man dann vor einem Berg offener Fragen. Wenn zum Beispiel ein Survivor von Kinderkrebs aufgrund seiner Chemo Spätschäden wie eine juvenile Demenz als Nebenwirkung entwickelt, nachdem er seit ein bis zwei Jahren endlich allein lebt und sich allein organisieren muss, macht es mich sehr betroffen.

Wie wird das Thema in der Schweiz gehandhabt?

Auch in der Schweiz gab es unzählige Einzelinitiativen in diversen medizinischen Fachgebieten. Eine intensive Kommunikation fand aber nicht ausreichend statt, um schnell voneinander zu lernen und best practice anzuwenden. Da im medizinischen Bereich wie in ganz Europa die Ressourcen knapp sind, machen letztlich die sehr engagierten KollegInnen die Transition zusätzlich zum eigenen Aufwand. Daher haben sich 2017 NeurologInnen, NeuroorthopädInnen und EpileptologInnen sowie die Pflege und Betroffene zusammengetan, um einen Schweizer Standard zu schaffen. Es geht eben nicht nur um die medizinische Seite – eine ganzheitliche Sicht ist gefragt. Wir rennen dort offene Türen ein und das ist eine gute Perspektive.

Welches Ziel hat die Gesellschaft für Transitionsmedizin?

Die Gesellschaft wurde 2012 gegründet, um bestehende Ansätze und Konzepte zur Transition zusammenzuführen und weiterzuentwickeln. Dazu gehören auch die Evidenz-Kriterien, nach denen wir in Studien bewerten können, ob eine Transition erfolgreich ist. Kongresse zum Austausch und die Unterstützung der Schulung von FallmanagerInnen gehören mit zu unseren Aufgaben. Ab Ende 2019 bieten wir den Mitgliedern und Interessierten Tools zur Unterstützung der Transition an wie Fragebögen, standardisierte Epikrise-Formulare, SW-Empfehlungen und Kurse für FallmanagerInnen.

Was erhoffen Sie sich für die nächsten fünf Jahre?

Wichtig ist uns, dass spätestens in fünf Jahren von allen Beteiligten und flächendeckend ein gut geführter Prozess mit FallmanagerInnen und die Wirtschaftlichkeit des Ganzen sichergestellt werden. Wir wollen einen Minimalstandard etablieren und diesen auch gesetzlich zur Regelleistung machen. Gewünscht ist eine Flatfee (Pauschale), die angepasst an den Grad der Autonomie des Patienten und den nötigen Aufwand zum Beispiel von sechs bis sieben Stunden bei Stoffwechselkrankheiten bis hin zu 20 Stunden Aufwand bei Mehrfachbehinderungen für die Transition geht. Vor allem aber wollen wir die übrigen Bereiche wie psychosoziale Betreuung, Hilfsmittelversorgung, Wohnen und Arbeiten viel stärker einbeziehen und die Beteiligten ins Netzwerk einbinden.

Was wünschen Sie sich von Österreich?

Je nachdem, von wo aus man es betrachtet, ist es ein Vorteil, dass in Österreich noch nicht so viele Einzelinitiativen separat für sich arbeiten. Man kann hier gemeinsam mit den Kollegen aus Deutschland und der Schweiz ein professionelles und wirtschaftlich abgestütztes Programm entwickeln, ohne alle Fehler der Anderen zu wiederholen. Wir wünschen uns also eine enge Zusammenarbeit und, um es böse zu sagen, möglichst wenig Provinzfürstentum, das am Ende dem Patienten nicht hilft. Dabei sind alle Beteiligten – gleich ob Pflege oder Ärzte, Sozialberatung oder Versicherer –  Partner auf Augenhöhe.

Was möchten Sie zu Transition noch mitteilen und haben wir nicht gefragt?

Transitionsprogramme dürfen nicht der Feierabendfreiwilligkeit überlassen werden oder in Gutmenschengymnastik ausarten. Transitionsprogramme sind professionell zu führende Leistungen im Gesundheitssystem und darüber hinaus.

www.transitionsmedizin.net


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