Hämophilie-Prophylaxe senkt das Blutungsrisiko der Erkrankten gegenüber einer Faktorengabe bei Bedarf. Wie das in der Praxis aussieht, zeigt eine neue Studie.
Ein Drittel aller österreichischen Patienten mit schwerer Hämophilie führt die notwendige Faktorensubstitution nur nach Bedarf durch. Dies ist mit einem deutlich höheren Blutungsrisiko verbunden als bei einer prophylaktischen Faktorsubstitution. Für viele Betroffene wäre ein Umstieg auf moderne Therapieformen mit längerer Halbwertszeit die Lebensqualität erhöhend.
Was ist Hämophilie?
Die Hämophilie ist eine angeborene, geschlechtsgebundene X-chromosomal rezessiv vererbte Gerinnungsstörung, hervorgerufen durch einen Mangel oder Defekt eines Proteins der Gerinnungskaskade, des Faktor VIII (Hämophilie A) oder Faktor IX (Hämophilie B). Je nach Mangel spricht man von schwerer, mittelschwerer und leichter Hämophilie. Klinisch äußert sich dieser Defekt durch Blutungen in Gelenken und Muskulatur sowie in Weichteilen und inneren Organen. Die Behandlung erfolgt in Form einer Faktorgabe entweder therapeutisch (bei Blutungen) oder prophylaktische Faktorgabe.
Goldstandard Prophylaxe
Der fehlende Gerinnungsfaktor kann aktuell nur über die Vene zugeführt werden und die prophylaktische Faktorsubstitution ist laut Prof. Dr. Cihan Ay (Medizinische Universität Wien) derzeit der Goldstandard der Hämophilie-Therapie. Darunter wird die regelmäßige, von Blutungen unabhängige Substitution des fehlenden oder verminderten Blutgerinnungsfaktors mindestens einmal wöchentlich verstanden. Dem steht die therapeutische Faktorsubstitution gegenüber, bei der der Blutgerinnungsfaktor lediglich bei Auftreten einer Blutung verabreicht wird. Die Überlegenheit der Prophylaxe gegenüber der Faktorenverabreichung, in der Fachsprache „on demand“ genannt, wurde in mehreren Studien belegt, so Prof. Dr. Ay.
Versorgungssituation in Österreich
Trotzdem die Prophylaxe der On-demand-Therapie überlegen ist, sind immer noch ein Drittel der von schwerer Hämophilie betroffenen Österreicher auf diese Therapieform eingestellt. Das zeigen vorläufige Daten einer von Prof. Dr. Ay präsentierten Studie, durchgeführt an der Medizinischen Universität am AKH in Wien. Eingeschlossen wurden Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B, welche die Datenerhebung selbständig anhand von Patiententagebüchern, Behandlungsprotokollen und Aufzeichnungen durchführten.
Für Patienten ist es vordergründig relevant, wie sich dies auf ihren Alltag auswirkt: Analog zu den klinischen Studien schnitten Patienten unter On-demand-Therapie deutlich schlechter ab (70 Prozent Blutungswahrscheinlichkeit*) als jene, die eine Prophylaxe (8 Prozent Blutungswahrscheinlichkeit) erhielten.
Prof. Dr. Ay führt dies auf Folgendes zurück: „Die Mehrzahl der Blutungen waren Gelenkblutungen. Während Therapien mit Standard-Faktor-VIII-Präparaten über eine relativ kurze Halbwertszeit verfügen, verfügen moderne personalisierte Hämophilie-Therapien mit neuen-Präparaten über eine längere Halbwertszeit. Für Patienten bedeutet das eine geringere Infusionshäufigkeit und eine Verringerung der Blutungsrate – kurz gesagt: eine höhere Lebensqualität.“
Personalisierte Therapie
Es ist besonders wichtig, die Therapie an die Lebensumstände des von Hämophilie Betroffenen anzugleichen, denn der Faktorenbedarf ist individuell unterschiedlich. Das meint auch Univ.-Prof. Dr. Ingrid Pabinger von der Medizinischen Universität in Wien. Je höher das Blutungsrisiko in einer bestimmten Situation ist, desto höher sollte der Faktorenspiegel sein. Angemessene sportliche Betätigung wird Hämophilie-Patienten damit nicht nur möglich, sondern Hämophilie-Patienten sollten vielmehr sogar dazu motiviert werden, so Prof. Dr. Pabinger.
So verläuft die Umstellung in der Praxis
„Auch spezielle Patienten mit häufigen Blutungen sollten zur prophylaktischen Faktorsubstitution motiviert werden“, so Dr. Ay. Doch was bedeutet das nun in der Praxis? OA Dr. Andreas Kurringer von der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Bregenz, verweist auf den Fall eines Kindes im Volksschulalter, welches seit seiner Geburt an einer schweren Hämophilie A leidet. Die Säuglingsperiode verlief unkompliziert, doch mit zunehmender Mobilität und dem natürlichen Entdeckungsdrang traten vermehrt Hämatome auf. Im Alter von 11 Monaten wurde mit einer einmal wöchentlichen herkömmlichen Therapie begonnen. Die Therapie wurde gut vertragen, die Blutungsneigung war gering. Nach 40 Tagen der Einnahme kam es zu einer Gelenkblutung, die Einnahme wurde auf zweimal pro Woche erhöht. Mit zunehmendem Alter trat vermehrt Nasenbluten auf, was mit einer herkömmlichen Therapie nicht mehr kontrollierbar war. Dies war jedoch nicht nur medizinisch herausfordernd, sondern führte überdies auch zu psychosozialen Belastungen, indem es zu mehreren schulischen Fehltagen kam.
Eine Umstellung auf eine moderne Therapie, die sich auf die individuelle Lebenssituation des Kindes ausrichtet, war daher unumgänglich. Das Ergebnis: Das betroffene Kind muss sich nun lediglich zweimal wöchentlich den Faktor verabreichen, wodurch auch die Familie im Alltag entlastet wurde. Auch konnten die Fehlzeiten in der Schule, durch die nun deutlich seltener stattfindenden Blutungen, vermindert werden. Das Kind kann dem Schulalltag nun nahezu ohne Einschränkungen wieder gemeinsam mit seinen Schulkollegen erleben.
*Beschreibt die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Monats nach der Faktorenkonzentrat-Infusion eine Blutung zu entwickeln.
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