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Hämophilie

Mädchen und Frauen mit Blutgerinnungsstörungen

kid using tissue to stop the nose bleeding
kid using tissue to stop the nose bleeding
iStock/Freer Law

„Hämophilie – die Bluterkrankheit – betrifft nur Buben.“ Diese Annahme ist fest in den meisten Köpfen verankert, sie ist aber leider falsch. Daher möchte ich von Mädchen berichten, die von Hämophilie oder einer anderen Blutgerinnungsstörung mit ähnlichen Auswirkungen betroffen sind. Was alle Betroffenen eint: Ihr Blut gerinnt nicht oder schwerer bzw. langsamer.

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Marion Bräuer

Bluterin

Während Burschen meist sehr früh mit einer Blutgerinnungsstörung diagnostiziert werden, liegt bei Mädchen der Mittelwert bei über 16 Jahren. Das bedeutet in der Praxis, dass einige stark Betroffene  bereits in jungen Jahren ihre Diagnose erhalten, viele andere aber erst nach der ersten Regelblutung oder überhaupt erst im Erwachsenenalter.[1] Die späte Diagnose ist das Hauptproblem betroffener Mädchen und Frauen. Und damit die ausbleibende Behandlung.

Gerade durch die Monatsblutung haben Mädchen mit einer erhöhten Blutungsneigung mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen: Erstens kann ohne Diagnose die erste Regel zu einer schrecklichen Erfahrung werden, bei der starker Blutverlust bis zu Ohnmacht und der Notwendigkeit von Blutkonserven führen kann. Zweitens wissen junge Mädchen selten, wie stark die Regel normalerweise sein sollte. Und drittens herrscht unter GynäkologInnen noch zu wenig Bewusstsein darüber, dass auch Frauen von Gerinnungsstörungen betroffen sind.

Außerdem können auch Schwangerschaft, ungewollter Schwangerschaftsabbruch und Geburt sowie die Zeit nach der Geburt (postpartum) für Frauen mit einer Gerinnungsstörung besonders herausfordernd sein.[2]

Die spezifischen körperlichen und seelischen Herausforderungen für Mädchen und junge Frauen mit einer Blutgerinnungsstörung bedingen eine besondere ärztliche Begleitung von klein auf bis ins Erwachsenenalter und sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit aller betreuenden ÄrztInnen.


[1]          Noone, D, Skouw‐Rasmussen, N, Lavin, M, van Galen, KPM, Kadir, RA. Barriers and challenges faced by women with congenital bleeding disorders in Europe: Results of a patient survey conducted by the European Haemophilia Consortium. Haemophilia. 2019; 25: 468– 474. https://doi.org/10.1111/hae.13722

[2]          Hermans, C, Kulkarni, R. Women with bleeding disorders. Haemophilia. 2018; 24(Suppl. 6): 29‐ 36. https://doi.org/10.1111/hae.13502


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Thomas Schindl

ÖHG

Das Erwachsenwerden geht wohl für niemanden ganz ohne Schwierigkeiten und Reibungen vor sich – fast möchte man sagen, zum Glück! Immerhin bedeutet jung zu sein nicht nur, unbesorgt in den Tag hinein zu leben, sondern auch sich selbst kennen und akzeptieren zu lernen und so die Weichen für das spätere Leben zu stellen. Dabei darf man sich auch den einen oder anderen Fehltritt erlauben. Wie soll man schließlich herausfinden, wer man sein möchte, wenn man nie in der Situation war, die eigenen Grenzen auszuloten und sich auch mögliche Fehler einzugestehen?

Patienten mit Blutgerinnungsstörungen wie Hämophilie und Von-Willebrand-Syndrom sind da keine Ausnahme. Die meisten von ihnen lernen bereits in sehr jungen Jahren Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Beginnend ab dem Volksschulalter erlernen viele von ihnen, lebensnotwendige Therapien an sich selbst durchzuführen, die verhindern, dass es auch bei kleineren Verletzungen zu Blutungen kommen kann, die ohne Behandlung nicht von alleine aufhören. Konkret bedeutet das, dass diese Kinder befähigt sind, sich einen fehlenden Blutbestandteil in die Venen zu spritzen, der ihre Blutgerinnung vorübergehend wieder normal funktionieren lässt. Ganz ehrlich: Wären Sie in der Lage, sich selbst zu stechen, eine Vene zu treffen und das auch noch mehrmals wöchentlich?

Wenn die jungen Patienten unter medizinischer Aufsicht erlernen, sich selbst zu spritzen, machen sie einen bedeutenden – und vor allem einen positiv besetzten – Schritt in Richtung Erwachsenwerden, weil sie ab nun die eigene Gesundheit selbst in die Hand nehmen können. In den meisten Fällen werden sie ihre Therapie anfangs auch weiterhin unter Aufsicht ihrer Eltern oder Ärzte durchführen, aber immerhin können sie es nun im Bedarfsfall auch alleine.

Um diese Behandlung konsequent im Alltag durchzuführen, braucht es viel Disziplin und persönliche Reife. Kinder mit der Bluterkrankheit sind, was ihre Entwicklung angeht, ihren gesunden Altersgenossen daher manchmal einen Schritt voraus. Die Pubertät stellt allerdings einen bedeutenden Einschnitt dar: oft wird das bereits Gelernte wieder vergessen oder verdrängt. Der Wunsch, möglichst so zu sein wie alle anderen und sich keinesfalls negativ von den Gleichaltrigen zu unterscheiden, führt bei vielen Betroffenen dazu, den eigenen Gesundheitszustand zu ignorieren, die Erkrankung zu verleugnen oder sogar die Behandlung zu verweigern. Im Grunde liegt dem oft die Schwierigkeit zugrunde, die Erkrankung und damit auch ein Stück weit sich selbst zu akzeptieren.

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